DIGITAL FUTUREmag: Wo ist der entscheidende Unter- schied zwischen einer Digitalstrategie und einer Marke- tingstrategie? Nicolai Goschin: Die Grenzen sind hier fließend und gleiche Begriffe werden von verschiedenen Personen unterschiedlich genutzt. Um es noch ein bisschen komplizierter zu machen, müssten wir den Begriff der Digitalisierungsstrategie ins Rennen schicken. Aber lassen Sie es uns lieber vereinfachen. Eine Marketingstrategie umfasst Marketing-Taktiken und Marketing-Maßnahmen, unabhängig vom Kanal. Die Kanäle könnten also zum Beispiel komplett analog und offline sein, wenn das zur Zielgruppe passt. Eine Digitale Marketingstrategie betrachtet den digitalen Teil des Marketings, denkt aber crossmedial, also bis ins Analoge hinein. Eine Digitalstrategie berücksichtigt das digitale Marketing, aber auch andere digitale Anknüpfungspunkte wie Software, Digitale Produkte usw. Ich glaube, an dieser Stelle ist die Begrifflichkeit nicht so sehr entscheidend. Meiner Einschätzung nach ist es für ein Unternehmen heute entscheidend, das digitale Umfeld als das Feld zu begreifen, in dem sich NutzerInnen und KundInnen aufhalten. Und ich brauche eine Strategie, wie ich diesen dort begegnen möchte, heute und morgen. Deshalb sprechen wir auch von digitaler Positionierung, und das ist weit mehr als nur die Corporate Website, auch wenn sie ein wesentlicher Teil ist. DIGITAL FUTUREmag: Warum ist eine Corporate Website heute so unglaublich wichtig und wie kommen KundInnen dahin, eine optimale Seite für ihre Zielgruppe zu gestalten? Nicolai Goschin: Wir müssen uns das digitale Umfeld heute wie ein großes komplexes System vorstellen, in dem alles miteinander verbunden ist. Wir sprechen daher auch gerne vom digitalen Ökosystem. Und die Corporate Website ist das Zentrum des Systems. Der Punkt, an dem alles zusammenläuft. Eine User Journey kann an einem beliebigen Punkt starten. LinkedIn, ein QR-Code, eine E-Mail, eine Google-Suche. Die Liste ist endlos lang. Und an jedem dieser Punkte müssen wir in der Lage sein, die NutzerInnen „abzuholen“ und an einen Ort zu führen, an dem wir unsere Botschaft, Emotion, etc. vermitteln können. Das ist die Corporate Website, auf der alle Kanäle zusammenlaufen. Auch wenn sie häufig in der Journey nicht der erste Kontaktpunkt ist, ist sie doch der letzte. Hier muss also eine Aktion ausgelöst werden, die NutzerInnen ins Handeln gebracht werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Handlung ein Kauf ist, eine Kontaktaufnahme oder das Senden einer Bewerbung. Es geht immer um eine Handlung. Und diese müssen wir dann auch messbar machen. DIGITAL FUTUREmag: Wenn ich Sie also richtig verstehe, geht es ständig darum, das Nutzerverhalten über Tracking und Analysen zu monitoren, um daraufhin optimale Web- seiten zu bauen. Ist das richtig? Nicolai Goschin: Ja, das ist richtig. In der Konzeption einer Corporate Website oder anderen Websites treffen wir stets gewisse Annahmen. Wir konzipieren User Journeys und definieren, wie wir NutzerInnen über die Seite führen wollen, wo wir sie abholen, und wo wir sie hinbringen. Das Tracking ermöglicht es dann, in der Praxis zu überprüfen, ob diese Konzepte aufgehen und wo nachgesteuert werden muss. Selbst wenn das Konzept zu 100% passt, verändern sich Nutzergewohnheiten durch neue Plattformen und Devices. Dies erfordert fortlaufende Optimierung. Eine besondere Herausforderung ist dabei aktuell das Thema Datenschutz im Zusammenhang mit Nutzer-Tracking. Wir alle kennen Cookie-Banner aus der eigenen Nutzung des Internets. Uns muss klar sein, dass bei den meisten Websites ein „nein“ zu Cookies bedeutet, dass die Website zur Blackbox wird. Die Bewegungen der NutzerInnen sind kaum noch ersichtlich. Zum Glück gibt es heute neue Verfahren für das Tracking, die ohne Cookies funktionieren und uns wieder die Einblicke geben, die wir benötigen, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. DIGITAL FUTUREmag: Der Fachkräftemangel ist bereits überall zu spüren. Marketing und die oben besprochenen Maßnahmen werden daher auch immer mehr im Bereich Social Recruiting eingesetzt. Worin unterscheidet sich das Marketing für Produkte zum Marketing für neue Mitarbeite- rInnen? Nicolai Goschin: Das Interessante ist, der Unterschied ist gar nicht so groß. Nur wird das leider häufig übersehen. Im Recruiting, als der Gewinnung neuer Fachkräfte, müssen wir ArbeitgeberInnen, also Unternehmen, auch in diesem Umfeld als Marke begreifen. Aus diesem Grund spricht man auch von Arbeitgebermarken. Eine Marke ist – sehr vereinfacht – eine Summe von eingehaltenen Versprechen kombiniert mit einer Emotion. Und dies müssen wir auch im Recruiting vermitteln. Wir müssen also ArbeitgeberInnen emotional aufladen, sie müssen für etwas stehen. Und das müssen wir als Agenturen kommunizieren. Im Social Recruiting zum Beispiel nutzen wir Social Media Kanäle, um neue Fachkräfte zu gewinnen. Tun wir das richtig, schalten wir nicht einfach Stellenanzeigen, sondern vermitteln das Positive an ArbeitgeberInnen. Dieser Einstieg funktioniert wesentlich besser als ein plumpes „Hey, hier ist ein Job, suchst du gerade?“. Der große Unterschied zwischen dem Marketing für ein Produkt und dem Marketing für ArbeitgeberInnen liegt darin, dass es wesentlich schwieriger ist, die Unterschiede darzustellen. Alle haben www.digital-futuremag.de 9